Interview im Deutschlandfunk zum Familiennachzug

11. November 2015 | Innen und Recht

In der Diskussion um eine Begrenzung des Familiennachzugs für syrische Flüchtlinge gehe es nicht darum, Familien auseinander zu reißen, sagte der innenpolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Michael Frieser, im DLF. Vielmehr müsse verhindert werden, dass Flüchtlinge den Nachzug ihrer Angehöriger „erzwingen“ – indem sie etwa „Minderjährige vorausschicken“.

Michael Frieser im Gespräch mit Heinemann

 

Christoph Heinemann: Koalitionsalltag: „Ja“ sagt der Bundesinnenminister am Freitag gegenüber dem Deutschlandfunk. „Nein“ zwei Tage später der Kanzleramtsminister in unserem Sender als Bote der Kanzlerin. „Doch“ meinte gestern die Spitze der Regierungspartei CDU, deren Vorsitzende Angela Merkel heißt. „Wir möchten, dass der Nachzug von Familienangehörigen der vielen Menschen, die gegenwärtig nach Deutschland kommen, begrenzt wird.“ „Nein“ sagt dazu die SPD.

Am Telefon ist Michael Frieser, der innenpolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag. Guten Tag!

Michael Frieser: Ich grüße Sie aus Berlin.

Heinemann: Herr Frieser, befindet sich im Regierungscockpit noch eine Pilotin?

Frieser: Aber selbstverständlich. Die Diskussion, die im Augenblick läuft, muss man auch rhetorisch etwas abrüsten. Die Parteivorsitzenden haben sich ja genau auf diese Frage schon verständigt, nämlich auch den Familiennachzug zu begrenzen, und die Äußerungen vom Bundesinnenminister gehen natürlich an dieser Stelle in die vollkommen richtige Richtung.

Heinemann: Aber das hat die Kanzlerin offenbar nicht mitbekommen.

Frieser: Die entscheidende Frage ist, wann ich zu welchem Zeitpunkt diesen Schritt gehe. Sie selbst hat ja an dem Papier auch zusammen mit Horst Seehofer als CDU-Vorsitzende mitgewirkt. Ganz überraschend ist übrigens auch diese Botschaft nicht an die SPD, denn vollkommen klar ist: Alle wissen ja, dass wir ein Verfahren gewählt haben, das mehr oder minder aus verwaltungstechnischer Überforderung einen sogenannten Vollschutz für die Flüchtlinge gewährt hat und damit der Nachzug quasi inbegriffen war, und eigentlich hätte den Flüchtlingen ja nur ein subsidiärer Schutz zugestanden, bei dem man selbstverständlich auch den Nachzug begrenzen kann.

Heinemann: Warum twittert der Regierungssprecher dauernd, ‚Es bleibt alles beim alten‘?

Frieser: Es bleibt alles beim alten, weil das nämlich dieser Plan war. Aber der Plan war ja bereits, auch darin war ein Bestandteil, eben auch sich über den Familiennachzug Gedanken zu machen. Insofern geht es nicht darum, Familien auseinanderzureißen, sondern es geht in erster Linie vor allem darum, dass wir auch ein Signal aussenden, weil es um Signale nun mal geht, vor allem in dieser Flüchtlingsdebatte zu sagen, wer hier herkommt, auf eine gewisse Dauer hier bleibt, aber doch auch nur sinnvollerweise, bis sich die Zustände in seinem eigenen Land geklärt haben, da wäre ein durchgeführter, für alle einfach pauschal vorhandener Familiennachzug sicherlich das falsche Signal. Also zurück zum richtigen Verfahren, zurück zum rechtsstaatlichen Verfahren, und dann wird sich die Frage des Familiennachzuges auch klären. Aber wir können nicht automatisch einfach jedem einen Familiennachzug gewährleisten.

Heinemann: Herr Frieser, das habe ich jetzt nicht verstanden. Sie haben gerade gesagt, es geht nicht darum, Familien auseinanderzureißen. Aber doch genau darum geht es doch in dem Vorstoß der Union.

Frieser: Entschuldigen Sie mal! Das was die Familien auseinanderreißt, ist der Bürgerkrieg in Syrien. Es kann aber doch, wie wir das mittlerweile auch zum Beispiel bei den Freunden in Schweden sehen, nicht dazu kommen, dass man tatsächlich beispielsweise Minderjährige vorausschickt, ganz bewusst, weil man weiß, dass man darüber dann den Familiennachzug wirklich erzwingen kann. Diese Frage: Es muss zurück zu einem rechtsstaatlichen Verfahren: Wir müssen eine ordnungsgemäße einzelne, persönliche Prüfung stattfinden lassen, um zu sagen, ist hier subsidiärer Schutz oder ist hier voller Flüchtlingsschutz angebracht, und das hat selbstverständlich auch Auswirkungen auf den Familiennachzug. Und darin besteht mit der Union eigentlich auch kein Zweifel.

Heinemann: Wobei ja gegenwärtig nicht nur Kinder kommen, sondern vor allen Dingen auch junge Männer. Der eine oder andere ist verheiratet. Und jeder weiß: Über Kinder, über die Kita, über die Schule entwickeln sich sehr viele Kontakte. Das wissen alle Eltern. Sind Familien nicht gerade sehr wichtig für die Integration, also das Folgeziel?

„Familiennachzug nur dort, wo angebracht“

Frieser: Aber selbstverständlich! Das ist doch ohne jegliche Form von Frage. Nur das darf doch am Ende nicht heißen, dass wir im Augenblick bei einer Diskussion, wo es auch massiv darum geht, einen Zuzug nach Deutschland wirklich definitiv zu begrenzen, dass wir einfach sagen, aus verwaltungstechnischer Überforderung kriegt jeder automatisch einen Flüchtlingsstatus, der ihm eigentlich nicht zukommt und bei dem auch ein Familiennachzug inbegriffen ist. Noch mal, ich bleibe dabei. Darf ich das ganz kurz sagen? Die meisten von den Flüchtlingen kommen doch nicht aus einem direkten Bürgerkriegsland, sondern sie kommen aus selbstverständlich schwierigen Situationen, aber es besteht dort keine direkte Bedrohung auch für die Familien. Und wenn ich weiß, dass diejenigen wieder zurückkehren sollen, gibt es aus unserer Sichtweise in vielen Fällen der Familiennachzug einfach keinen Sinn.

Heinemann: Nun sind allerdings gerade die Syrer Leidtragende eben eines Bürgerkrieges, genau dessen, was Sie gerade ja abgelehnt haben. Glauben Sie, dass alleinstehende junge Männer, deren Frauen und Kinder anderswo leben, leichter zu Bürgern werden?

Frieser: Diese Frage intendiert natürlich bereits in Ihrer Fragestellung, dass das eine schwierige Frage sein kann. Ich gehe doch nicht davon aus, dass wir bei all denjenigen, bei denen wir wirklich sagen müssen, wir wollen und sie wollen vielleicht selber auch tatsächlich wieder in ihre Länder zurückkehren, um dort auch bei einem Wiederaufbau mitzuwirken, dass wir dort die Frage des Familiennachzugs zur wesentlichen machen. Noch mal: Die wesentliche Frage ist eine Begrenzung auch des Zustroms. Und derer, die tatsächlich auf Dauer da bleiben, bei denen wird sich auch im Verfahren regeln, dass es sich um einen Familiennachzug handeln wird. Da gebe ich Ihnen vollkommen Recht. Das wird nur insgesamt auch mit der Familie gehen. Das bedeutet aber nicht, dass bei der Gesamtzahl, die im Augenblick nach Deutschland zuströmt, der Familiennachzug quasi automatisch mitgehen kann.

Heinemann: Herr Frieser, Ihr SPD-Kollege Christian Flisek sprach heute Früh von einer Demontage der Kanzlerin innerhalb ihrer eigenen Partei. Kann man dem widersprechen?

Frieser: Ja, dem kann man sogar sehr deutlich widersprechen.

Heinemann: Auch mit Argumenten?

Frieser: Es geht darum, dass wir einen Plan haben, bei dem natürlich auch die Frage der Diskussion um den Familiennachzug ein ganz wesentlicher Punkt ist. Das wird am Ende auch die SPD einsehen müssen, wie es bisher auch schon immer der Fall war. Sie macht sich da einen etwas schlanken Fuß. Sie muss selber mit einem Vorschlag kommen, wie wir die Frage des Zuzugs begrenzen können, und das hat nichts mit der Demontage der Kanzlerin zu tun, wenn wir einfach wissen, dass eine Million Flüchtlinge im Land am Ende des Tages 3,5 oder vier Millionen tatsächlich durch Familiennachzug bedeuten würden. Das bedeutet, wir müssen den Einzelfall unterscheiden können. Familiennachzug nur dort, wo er tatsächlich angebracht ist.

Heinemann: Das Kanzleramt und das Bundesinnenministerium – Sie bekommen das ja selber mit – bekämpfen sich in aller Öffentlichkeit zurzeit. Wie lange, glaube Sie, dauert dieses Herbsttheater noch?

Frieser: Man kann wirklich nicht sagen, dass es ein Theater ist.

Heinemann: Wie bitte!

„Nicht gegen den Willen der Kanzlerin“

Frieser: Man kann nicht sagen, dass es ein Theater ist, weil das gerne auch etwas aufgepumpt wird, sondern es geht eigentlich eher um die Frage, um die strategische Frage zu sagen, wir haben jetzt den Kompromiss mit der SPD und der muss umgesetzt werden. Wir haben das Asylverfahren-Beschleunigungsgesetz, das muss jetzt umgesetzt werden. Ein nächster Schritt ist tatsächlich auch die Frage Familiennachzug. Wir müssen aber darüber reden, auch mit der SPD. Das muss natürlich zu einer Abstimmung und zu einem Konsens werden. Das gilt selbstverständlich auch zwischen Regierung und der Fraktion.

Heinemann: Wird das Stück – ich bleibe mal beim Theater – von einem Regisseur oder von einer Regisseurin inszeniert?

Frieser: Es ist nicht gegen den Willen der Kanzlerin passiert. Die entscheidende Frage ist doch eigentlich nur: Wie sehen wir die Abfolge der Schritte und wie sehen wir die Intensität? Sie will natürlich ihren Kompromiss, den sie mit der SPD und der CSU zusammengebracht hat, tatsächlich im Volk und in der Öffentlichkeit auch erst mal wirken lassen, und schon bereits jetzt kommt der nächste Punkt. Aber wir müssen bei der Frage der Herausforderung, vor der wir stehen, wirklich alle Schritte angehen und insofern gibt es eigentlich nur eine Diskussion über die Frage, wann müssen wir welche Probleme lösen, und die entscheidende Frage, wann riegeln wir sie ab, und das hat nichts mit einer Demontage der Kanzlerin zu tun, sondern da haben wir vollstes Vertrauen. Wir müssen diese Diskussion aber intensiv nicht nur in der Fraktion, sondern auch mit dem Koalitionspartner SPD führen.

„Menschen wollen von der Politik Lösungen“

Heinemann: Warten wir es ab, ob das wirklich keine Diskussion über die Kanzlerin ist, denn etwas anderes zeichnet sich auch ab. In einer von der „Bild“-Zeitung jetzt veröffentlichten Umfrage, in einem Meinungstrend kommen CDU und CSU gegenwärtig auf 34 Prozent. Das sind noch einmal 1,5 Punkte weniger als in der Vorwoche. Und die rechtskonservative AfD gewinnt zwei Punkte hinzu, kommt erstmals zweistellig jetzt auf zehn Prozent. Krempelt die Ankunft der vielen Menschen die politische Landschaft hierzulande nachhaltig um?

Frieser: Natürlich, denn die Menschen haben Sorgen. Die Menschen haben Sorgen, dass das Erscheinungsbild, das wir geben und was den Umgang mit dieser Flüchtlingskrise anbetrifft, was allein die schiere Masse, die in dieses Land strömt, an Umgestaltung, an Zukunft, an Zukunftsänderung, an Gesellschaftsänderung haben kann, dass die Menschen das umtreibt und dass sie im Augenblick – das gebe ich gerne zu – nicht den Eindruck haben, dass alle Regierungsschritte, alles Verwaltungshandeln, insbesondere die Abstimmung zwischen Bund, den Ländern und den Kommunen ohne Probleme funktioniert. Das sehen die Menschen mit Sorge. Das verändert die Landschaft, das verändert vor allem auch den Zuspruch natürlich zu Parteien, die mit leichter Hand im Grunde die Problemlösung versprechen, die es einfach nicht gibt. Und insofern sind wir aufgerufen, möglichst deutlich, möglichst klar, möglichst eingängig nachvollziehbar den Menschen zu sagen, was sind unsere Vorschläge, um die Frage zu lösen. Es geht darum, dass die Menschen von der Politik Lösungen wollen, nicht Diskussionen, nicht Konflikte, nicht Streitereien, sondern sie wollen Lösungen haben. Daran sind wir interessiert.

Heinemann: Der CSU-Innenpolitiker Michael Frieser. Danke schön für das Gespräch!

Frieser: Danke Ihnen.

Heinemann: Auf Wiederhören.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

 

Quelle: http://www.deutschlandfunk.de/michael-frieser-csu-zum-familiennachzug-sonst-werden-aus.694.de.html?dram:article_id=336438 

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