Über 70 Prozent der Weltbevölkerung lebt in Staaten mit autokratischen oder teilautokratischen Staatsformen. Unser Grundgesetz ermöglicht uns in Deutschland seit 75 Jahren ein Leben in Freiheit, Frieden und Demokratie. Die Säulen unserer Verfassungsordnung: die Menschenwürde, die Demokratie, der Rechtsstaat und das Sozialstaatsprinzip, haben sich als widerstandsfähig gegenüber den Stürmen der Zeit erwiesen. Aber unsere Demokratie ist kein Selbstläufer. Wenn sich Menschen von unserer Demokratie abwenden, kann sie nicht einmal die beste Verfassung der Welt allein zurückholen. Wir sind alle, als gesamte Gesellschaft gefordert, unsere Demokratie zu verteidigen. Unsere Demokratie muss sich Angriffen von allen Seiten erwehren. Wir dürfen Demokratiefeinden -egal von welcher Seite sie kommen- keinen Raum geben. Wir brauchen weder einen Reichsbürger-Kaiser noch ein Kalifat.  Die Nachrichten von Politikern und Wahlhelfern, die beim Aufhängen von Wahlplakaten niedergeschlagen werden, von antisemitischen Aufzügen und Protestcamps, die nicht pro-palästinensisch, sondern anti-jüdisch sind und hier lebende Menschen, die alle Freiheiten, die wir bieten genießen, aber ein Kalifat in Deutschland fordern, sind alarmierend.

In dieser Auseinandersetzung braucht es ein positives Selbstbild, eine emotionale Beziehung zum eigenen Land und zum Gemeinwesen. Deshalb haben wir in dieser Woche unseren Antrag Verfassung und Patriotismus als verbindendes Band stärken – Tag des Grundgesetzes am 23. Mai als Gedenktag aufwerten ins Plenum gebracht.  Unser Grundgesetz und Patriotismus können als verbindendes Band eine starke Integrations- und Identifikationspotentiale zum Wohle von Staat und Gesellschaft entfalten. Wir dürfen Patriotismus nicht denjenigen überlassen, die Patriotismus und Nationalismus nicht unterscheiden können.

Artikel 5 Grundgesetz schützt die Meinungsfreiheit. Aber Hass und Hetze sind keine Meinung. Aus hasserfüllten Worten werden zu oft brutale Taten. Deswegen müssen wir Demokraten alle zusammenhalten, die Probleme benennen, sachlich streiten, ehrlich nach Lösungen suchen, aber auch klar benennen, was bei uns gut ist. Ein positives Selbstbild westlicher Demokratien ist eine unabdingbare Voraussetzung für ihre Selbstbehauptung. Auch für eine Einwanderungsgesellschaft ist es wichtig, dass es Werte gibt, für die unsere Gesellschaft klar steht und mit denen es sich zu identifizieren und in die es sich zu integrieren gilt. Ganz nach vorn setzten die Mütter und Väter des Grundgesetzes die Menschenwürde, in Artikel 3 wird unmissverständlich klargestellt: Männer und Frauen sind gleichberechtigt, Art. 4 garantiert die Religionsfreiheit eines jeden Einzelnen, in Art. 20 wird unveränderbar festgelegt, dass die Bundesrepublik Deutschland ein demokratischer und sozialer Bundesstaat ist.

Nichts hält so lange wie ein Provisorium. Aber es gibt kaum ein Provisorium, dass so gelungen ist wie dieses Grundgesetz. Es sollte eine provisorische Verfassung sein, mit Blick auf eine mögliche Wiedervereinigung des geteilten Deutschlands. Seit dem 3. Oktober 1990 ist das Grundgesetz unsere gesamtdeutsche Verfassung. Die Demokratie lebt davon, dass Menschen sich für diese Demokratie einsetzen und engagieren. Das ist die zwingende Voraussetzung dafür, dass unser Grundgesetz auch in den nächsten Jahrzehnte erfolgreich unsere Demokratie und die Bürgerinnen und Bürger schützen kann.

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