Nürnberger Zeitung, Samstag 12. August 2023, Seite 2

„Verrat an unserem Land“

Interview Der Nürnberger CSU-Mann Michael Frieser zum AfD-Hoch – und Gegenstrategien.

Michael Frieser (59) ist seit 2009 direkt gewählter CSU-Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Nürnberg-Süd/Schwabach. Zuvor war Frieser CSU-Fraktionsvorsitzender im Nürnberger Stadtrat. Der Jurist ist Justiziar der Unionsfraktion im Bundestag und Vorsitzender des CSU-Bezirksverbands Nürnberg-Fürth-Schwabach.

Das Umfrage-Hoch der AfD treibt die anderen Parteien um, auch die CSU. Wie sollte die Union vorgehen, um konservative Wählerinnen und Wähler davon abzuhalten, die AfD zu wählen? Fragen an den Nürnberger CSU-Politiker Michael Frieser.

 

Herr Frieser, der Europaparteitag der AfD hat gezeigt, dass in dieser Partei eindeutig diejenigen dominieren, die ganz am rechten Rand oder darüber hinaus stehen. Macht das die Auseinandersetzung mit der AfD für die Unionsparteien einfacher?

Manchmal entsteht der Eindruck, das sei ausschließlich ein Problem der Union. Aber ja, die Positionen werden extremer, die Figuren an der Spitze immer skurriler. Das macht die Auseinandersetzung aber nicht einfacher. Deshalb bleibt die sinnvollste Strategie für uns alle: politische Antworten auf die drängenden Probleme im Land. Ehrliche, wirksame und rechtssichere Konzepte gegen den wirtschaftlichen Abschwung, gegen illegale Migration, gegen Wohnraummangel oder Altersarmut. Darauf kommt es an.

Wie lassen sich in Zukunft Irritationen vermeiden, wenn sich Unionspolitiker – Beispiel Friedrich Merz – von der AfD abgrenzen wollen, dann aber den Eindruck vermitteln, die Parole „Keine Zusammenarbeit“ sei in der politischen Praxis, gerade in der Kommunalpolitik, nicht durchzuhalten?

Wenn Aussagen aus politischen Beweggründen bewusst missverstanden werden wollen, werden sich solche Irritationen nicht vermeiden lassen. Friedrich Merz hat keinerlei Position gegenüber der AfD geräumt oder aufgegeben. Ich lege noch einmal auf meine Unterscheidung wert: Wenn ich als Gemeinde-, Kreis- oder Stadtrat gewählt bin und finde einen Bürgermeister oder Landrat von der AfD vor, dann rede ich mit dem Amt – zum Wohle meiner Wählerinnen und Wähler und meiner Gemeinde oder meinem Landkreis – und nicht mit der versprengten, irregeleiteten Figur dahinter. Über diese simple Tatsache wurden inzwischen ja auch die Parteivorsitzenden von Grünen und SPD von ihren eigenen Kommunalpolitikern vor Ort aufgeklärt. Vielleicht trägt zumindest dieser Umstand zu weniger „Irritationen“ bei.

Müsste der Unvereinbarkeitsbeschluss von CDU und CSU, der besagt, dass es keine Zusammenarbeit mit der AfD und auch nicht mit der Linkspartei gibt, nicht der Realität angepasst werden – etwa so, dass die Union politische Entscheidungen nicht von Stimmen der AfD abhängig machen wird?

Das wäre zwar interessant formuliert, würde aber realpolitisch nichts ändern. Keine Zusammenarbeit heißt zum Beispiel, dass es mit der AfD keine gemeinsamen Anträge gibt. Wir können ja immer eigene Anträge stellen. Es ist ja das Spiel der AfD, Anträge von uns nach einem dreiviertel Jahr aus der Schublade zu holen und ihr Logo draufzudrucken. Das Spiel dürfen wir nicht mitmachen.

Was sagen Sie Wählerinnen und Wähler, die sich als konservativ bezeichnen und meinen, in der AfD eine solche Partei zu finden?

Die AfD lehnt EU und Nato ab, will Deutschland zu einem Vasallen Putins machen. Das ist kein Patriotismus, sondern Verrat an unserem Land. Ein Ende des Krieges gegen die Ukraine durch Aufgabe der Ukraine bedeutet 10 Millionen Flüchtlinge in Deutschland. Die Partei ist eine Gefahr für Wohlstand und Sicherheit der Bundesrepublik. Der sogenannte „Flügel“ um Björn Höcke vertritt einen völkischen Sozialismus, der in absolutem Kontrast zu unserer sozialen Marktwirtschaft steht. Übrigens glaube ich sehr wohl, dass Wählerinnen und Wähler zwischen rückwärtsgewandtem Populismus und wertkonservativer Politik unterscheiden können.

Warum ist die AfD für die Union überhaupt wieder zu einem Problem geworden?

Weil Sie es so wollen….

Sie meinen, wir, die Medien. Wie kommen Sie denn darauf?

Was ich schon vermisse, ist eine mediale Selbstreflexion. Dieses Thema wird gerne als Vehikel benutzt, uns in eine Diskussion zu führen. Eine wie auch immer geartete linke Kraft macht das gerne, um dann daraus zu schließen, dass die Union an den guten Umfragewerten der AfD schuld sei. Das könnte falscher nicht sein. Ich fände es gut, die AfD politisch zu stellen und zu bekämpfen, anstatt sich ständig mit ihr zu befassen.

Stützen Sie die These, dass es vor allem die mangelhafte Regulierung der Migration nach Deutschland und Mängel bei der Integration der hier lebenden Migranten oder Menschen mit Migrationshintergrund sind, die die Wähler zur AfD bringt?

Es ist schon auffallend, dass mit den Wellen, die wir beim Thema Migration erkennen, die Verunsicherung der Menschen steigt. Das hat meines Erachtens allerdings weniger damit zu tun, dass die Menschen Angst vor „Überfremdung“ hätten, sondern mehr mit der Angst vor einem Kontrollverlust. Das trifft gerade in eine Zeit, in der die Menschen aufgrund verschiedener Krisen ohnehin verunsichert sind – gerade eine Pandemie überstanden, dann ein menschenverachtender Überfall auf die Ukraine, daraus resultierend eine Energiekrise, fast eine Staatskrise in Europa, Inflation. Ob und wie sich das dann in Wahlen niederschlägt, ist noch einmal eine andere Frage. Aber viele Menschen haben sich ein Stück weit von der Politik distanziert.

Ihr CDU-Kollege Thorsten Frei hat vorgeschlagen, das individuelle Asylrecht in Deutschland abzuschaffen und die Prüfung des Asylanspruchs künftig außerhalb der EU durchzuführen. Das ist zwar auch Beschlusslage der EU-Innenminister. Doch abgesehen davon, dass es für ersteres keine Mehrheiten gibt und das zweite noch in weiter Ferne liegt: Wären das taugliche Lösungen, um die Zuwanderung zu begrenzen?

Das persönliche Grundrecht auf Asyl hat Deutschland schmerzhaft nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführt, das ist in Europa eine Besonderheit. Darüber zu reden, halte ich für richtig. Was aber die reine Zahl angeht, ist das überhaupt nicht entscheidend. Denn die weitaus größte Anzahl an Geflüchteten bekommt subsidiären Schutz und eben gerade nicht Asyl. Wir müssen meines Erachtens zurück zum Gedanken von Humanität und Ordnung. Dazu braucht es einen funktionierenden europäischen Grenzschutz. Bevor jemand in die EU kommt, muss geklärt werden, ob das Ansinnen Aussicht auf Erfolg hat oder nicht. Darauf aufbauend brauchen wir einen flexiblen Grenzschutz an den nationalen Binnengrenzen. Dann muss man im eigenen Land weg davon, dass jeder, der sich im Asylverfahren befindet einen Bürgergeldanspruch hat. Und wer abgelehnt wurde, der kann meines Erachtens mit Sach- statt Geldleistungen versorgt werden. Die Ampel hat viel falsch gemacht, was die Anreize angeht, dass Geflüchtete nach Deutschland kommen wollen.

Würde das die Betroffenen nicht dazu verleiten, sich illegal Geld zu besorgen, auch, um es in ihre Heimatländer zu schicken?

Da liegt immer eine Gefahr drin. Das eigentliche Problem ist, dass die Asylverfahren viel zu lange dauern, die Betroffenen zwischen Baum und Borke hängen. Die Menschen müssen schneller wissen, was geht und was nicht geht. Je länger das dauert, umso größer ist die Gefahr, sich der Illegalität zu bedienen. Darüber hinaus darf man die Anreize nicht noch verstärken, nach Deutschland zu kommen.

Interview: STEPHAN SOHR

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